Als Heinz (78) und Lydia (75) Gersbach 1972 in der Wirtezeitung lesen, dass das «Rössli» in Lostorf zu pachten ist, überlegen sie nicht lange. Obwohl die beiden in Bern wohnen und noch nie in ihrem Leben in Lostorf waren, entschieden sie sich schnell, das «Rössli» zu übernehmen. «Ich wollte ja nicht mein Leben lang als Kellner arbeiten», sagt Heinz Gersbach lachend. Er hatte damals als Speisewagenchef gearbeitet und seine Frau Lydia war Hotelsekretärin.
Und so zogen die Gersbachs 1972 nach Lostorf und pachteten für 800 Franken im Monat das «Rössli», wo sie seither auch im Obergeschoss wohnen. Die Aufgabenteilung war von Anfang an klar: Heinz Gersbach übernahm die Küche und seine Frau die Administration und den Service – gemeinsam mit einer Serviceangestellten.
Mittagsmenü für 4.50 Franken
Als die Gersbach in Lostorf vor 50 Jahren zu wirten begannen, war die Situation nicht mit heute zu vergleichen. Zwei Beispiele: «Damals gabs in Lostorf noch zehn Restaurants und alle hatten ihre Gäste», erzählt Lydia Gersbach. Und auch die Preise waren völlig anders. «Wir verlangten 1.10 Franken für ein Kaffee Crème und das Mittagsmenü kostete 4.50 – damit waren wir die teuersten im ganzen Dorf», sagt Heinz Gersbach. «Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht mehr vorstellen, dass solche Preise damals wirklich rentiert haben.»
Rentiert hats sich. Sonst hätten die Gersbachs das Lokal nach fünf Jahren nicht gekauft und es insgesamt 50 Jahre geführt. Oder wie Lydia Gersbach es formuliert: «Wir haben gut gelebt, aber reich geworden sind wir sicher nicht.» Sie und ihr Ehemann sind aber dennoch zufrieden mit dem, was sie erreicht haben. Gefragt nach ihren Highlights in den 50 Jahren «Rössli», kommen ihnen viele verschiedene Episoden in den Sinn.
Kegelbahn als wichtiges Standbein
Beispielsweise die «Gageli-Turniere», wie die beiden ihre Tischfussball-Turniere nennen, die sie organisiert haben. «Die waren vor allem bei den Jungen sehr beliebt.» Oder das Fasnachtsmenü, das es jeweils im festlich dekorierten «Rössli» gab. Oder die Rock’n’Roll Lektionen, die Heinz und Lydia Gersbach im Säli des «Rössli» geleitet haben. Ein besonderes Highlight waren auch die vielen Soldaten, die früher ihren Ausgang im «Rössli» verbracht haben. «Die haben jeweils unser Telefon sehr intensiv gebraucht – damals gab es ja schliesslich noch keine Mobiltelefone», erzählt Lydia Gersbach.
Das wichtigste Standbein des Ehepaar Gersbach waren in den vergangenen 50 Jahren aber die Kegler. Im Untergeschoss des «Rössli» gibts eine Kegelbahn. Diese wurde in den besten Zeiten von fünf Vereinen aus der Region genutzt, um zu trainieren. Jeden Abend ein Verein, von Montag bis Freitag. Auch Heinz Gersbach kam so zum Kegeln. Später gründete er gar einen eigenen Verein, mit dem er Schweizer Meister in der Mannschaft wurde und sogar auch einen Einzel Schweizer Meistertitel gewann. «Das waren tolle Zeiten», sagt Heinz Gersbach, der beim kurzen Besuch bei der Kegelbahn beweist, dass er den Wurf noch immer draufhat. Beim dritten Anlauf fallen alle neun Kegel auf einmal. Doch Heinz Gersbach winkt ab. «Ich spiele nicht mehr und leider kommen auch keine Vereine mehr, um bei uns zu trainieren. Die meisten von ihnen gibt es seit Corona nicht mehr.» Immerhin: Die Kegel Meisterschaften organisieren die Gersbachs noch immer im «Rössli».
Keine Nachfolge in Sicht
Aber auch die Kegelturniere lassen sie langsam aber sicher auslaufen. Das Lokal führen sie heute «nur noch als Hobby», wie Lydia Gersbach sagt. Von Montag bis Freitag öffnet sie das Lokal mit ihrem Mann jeweils um 8:30 Uhr – für Kaffee und Sandwich. Um 12 Uhr ist Schluss. «Die Morgen mit unseren Stammkunden reichen uns, mehr wollen wir nicht mehr arbeiten», sagt Heinz Gersbach.
Das 50-Jahr-Jubiläum im «Rössli» ist weder für ihn noch für seine Frau eine grosse Sache. Ein Jubiläumsfest gibt es keines. Die beiden sind am 1. August nicht mal in Lostorf. «Wir verbringen den 1. August im Schwarzwald – die Knallerei gefällt mir nicht», meint Heinz Gersbach lachend. Wie lange sie das Lokal noch betreiben wollen, wissen sie nicht. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. «Wir suchen aber auch nicht aktiv. So lange wir noch können, werden wir hier wohnen und dann lassen wir auch das ‘Rössli’ offen. Schliesslich ist das ‘Rössli’ unser Leben.»